Übung 02

Fließbandproduktion & Leistungsanalysen

Aufgabe 1 - Warteschlangenanalyse in der Automobilproduktion

Ein Automobilzulieferer betreibt eine Fertigungslinie mit 4 Bearbeitungsstationen für Getriebekomponenten. Die Stationen haben folgende Bearbeitungsraten (in Stück pro Stunde):

  • Station 1 (Drehen): \(\mu_1 = 3\)
  • Station 2 (Fräsen): \(\mu_2 = 3\)
  • Station 3 (Schleifen): \(\mu_3 = 4\)
  • Station 4 (Qualitätskontrolle): \(\mu_4 = 3\)

Zwischen den Stationen sind unbeschränkte Puffer vorhanden. Die Zwischenankunfts- und Bearbeitungszeiten sind exponentialverteilt.

  1. Bestimmen Sie für die Ankunftsraten \(\lambda_1 = 2\) und \(\lambda_1 = 3\) Stück/h vor der ersten Station:
    • Die Produktionsrate des Systems
    • Die Ankunftsraten an den einzelnen Stationen
  2. Berechnen Sie für beide Szenarien aus a):
    • Die Auslastung jeder Station und die durchschnittliche Systemauslastung
    • Den mittleren Bestand an jeder Station und im Gesamtsystem
    • Die mittlere Durchlaufzeit pro Station und die Gesamtdurchlaufzeit
  3. Für \(\lambda_1 = 2\): Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich an Station 1:
    • Genau 5 Werkstücke befinden?
    • Höchstens 5 Werkstücke befinden?
    • Die Station leer ist?
  4. Eine zusätzliche Vorbearbeitungsstation hat \(\lambda = 5\) und \(\mu = 7\). Analysieren Sie diese Station bezüglich Auslastung, Bestand und Durchlaufzeit.

Lösung:

  1. Produktionsrate und Ankunftsraten:

Für \(\lambda_1 = 2\):

  • Produktionsrate: \(X = \min\{\lambda_1, \mu_1, \mu_2, \mu_3, \mu_4\} = \min\{2, 3, 3, 4, 3\} = 2\) Stück/h
  • Ankunftsraten: \(\lambda_1 = 2\), \(\lambda_2 = \min\{2, 3\} = 2\), \(\lambda_3 = \min\{2, 3\} = 2\), \(\lambda_4 = \min\{2, 4\} = 2\)

Für \(\lambda_1 = 3\):

  • Produktionsrate: \(X = \min\{3, 3, 3, 4, 3\} = 3\) Stück/h
  • Ankunftsraten: \(\lambda_1 = 3\), \(\lambda_2 = \min\{3, 3\} = 3\), \(\lambda_3 = \min\{3, 3\} = 3\), \(\lambda_4 = \min\{3, 4\} = 3\)
  1. Kenngrößen für beide Szenarien:

Szenario 1: \(\lambda_1 = 2\)

Auslastungen:

  • \(\rho_1 = \frac{2}{3} = 0,667\)
  • \(\rho_2 = \frac{2}{3} = 0,667\)
  • \(\rho_3 = \frac{2}{4} = 0,500\)
  • \(\rho_4 = \frac{2}{3} = 0,667\)
  • Durchschnitt: \(\bar{\rho} = 0,625\)

Mittlerer Bestand:

  • \(L_1 = \frac{0,667}{1-0,667} = 2,00\) Stück
  • \(L_2 = \frac{0,667}{1-0,667} = 2,00\) Stück
  • \(L_3 = \frac{0,500}{1-0,500} = 1,00\) Stück
  • \(L_4 = \frac{0,667}{1-0,667} = 2,00\) Stück
  • Gesamt: \(L = 7,00\) Stück

Mittlere Durchlaufzeit (Little’s Gesetz: \(W = L/\lambda\)):

  • \(W_1 = \frac{2,00}{2} = 1,00\) h
  • \(W_2 = \frac{2,00}{2} = 1,00\) h
  • \(W_3 = \frac{1,00}{2} = 0,50\) h
  • \(W_4 = \frac{2,00}{2} = 1,00\) h
  • Gesamt: \(W = 3,50\) h

Szenario 2: \(\lambda_1 = 3\)

Auslastungen:

  • \(\rho_1 = \rho_2 = \rho_4 = \frac{3}{3} = 1,000\) → Grenzfall!
  • \(\rho_3 = \frac{3}{4} = 0,750\)

Das System arbeitet am Limit. Die Stationen 1, 2 und 4 haben 100% Auslastung, was theoretisch noch stabil ist, aber praktisch extrem problematisch:

  • Keine Puffer für Schwankungen vorhanden
  • Warteschlangen werden sehr lang (theoretisch unendlich)
  • Jede kleine Störung führt zu Problemen
  • In der Praxis nicht realisierbar → Ankunftsrate reduzieren oder Kapazitäten erhöhen!
  1. Wahrscheinlichkeiten für Station 1 bei \(\lambda_1 = 2\):

Mit \(\rho_1 = 0,667\) gilt: \(P[N=n] = (1-\rho) \cdot \rho^n = 0,333 \cdot 0,667^n\)

  • \(P[N=5] = 0,333 \cdot 0,667^5 = 0,333 \cdot 0,132 = 0,044\) (4,4%)
  • \(P[N \leq 5] = \sum_{n=0}^{5} P[N=n] = 0,912\)
  • \(P[N=0] = 0,333\) (33,3%)
  1. Analyse der Vorbearbeitungsstation:

Bei \(\lambda = 5\) und \(\mu = 7\):

  • Bearbeitungszeit: \(b = \frac{1}{\mu} = \frac{1}{7} = 0,143\) h
  • Auslastung: \(\rho = \frac{5}{7} = 0,714\)
  • Mittlerer Bestand: \(L = \frac{0,714}{1-0,714} = 2,50\) Stück
  • Mittlere Durchlaufzeit: \(W = \frac{L}{\lambda} = \frac{2,50}{5} = 0,50\) h

Aufgabe 2 - Fließbandabstimmung bei der Smartphone-Montage

Ein Elektronikhersteller plant eine neue Montagelinie für Smartphones. Pro 8-Stunden-Schicht sollen 48 Geräte montiert werden. Die Montage besteht aus 10 Arbeitselementen mit folgenden Beziehungen:

Arbeitselemente und Elementzeiten:

Element A B C D E F G H I J
Zeit [min] 5 3 6 4 8 3 4 5 6 5

Vorranggraph:

    A(5) ──→ D(4) ──→ G(4) ──────────────→ J(5)
         ↘                    ↗         ↗
          E(8) ──→ H(5) ────↗          ↗
          ↗                          ↗
    B(3) ↗                         ↗
                                 ↗
    C(6) ──→ F(3) ──→ I(6) ──→ ↗
  1. Bestimmen Sie die Taktzeit für die geforderte Produktionsrate.
  2. Berechnen Sie die theoretisch minimale Anzahl an Stationen. Wie viele Stationen werden maximal benötigt?
  3. Führen Sie eine Fließbandabstimmung mit der Heuristik “Längste Elementzeit zuerst” durch.
  4. Berechnen Sie den Bandwirkungsgrad Ihrer Lösung.

Lösung:

  1. Taktzeit:
  • Verfügbare Zeit: \(T = 8 \text{ h} \times 60 \text{ min/h} = 480\) min
  • Produktionsrate: 48 Stück/Schicht
  • Taktzeit: \(C = \frac{480}{48} = 10\) min/Stück
  1. Stationenanzahl:
  • Theoretisches Minimum: \(M_{\min} = \lceil\frac{49}{10}\rceil = 5\) Stationen
  • Maximum: \(M_{\max} = 10\) Stationen (ein Element pro Station)
  1. Fließbandabstimmung (Längste Elementzeit zuerst):

Prioritätsliste: E(8), C(6), I(6), A(5), H(5), J(5), D(4), G(4), B(3), F(3) Wichtig: Es werden nur Elemente zugeordnet, deren Vorgänger bereits zugeordnet sind!

Station Verfügbare Elemente Gewähltes Element Elementzeit Stationszeit Restzeit
I A, B, C C 6 6 4
A, B B 3 9 1
A - - 9 1
II A, F A 5 5 5
F, D, E E (längste) 8 - -
E passt nicht → F 3 8 2
D - - 8 2
III D, E, I E 8 8 2
D, I - - 8 2
IV D, I, H I 6 6 4
D, H D 4 10 0
V H, G H 5 5 5
G G 4 9 1
J - - 9 1
VI J J 5 5 5

Ergebnis: 6 Stationen benötigt

Hinweis zur Optimalität: Das theoretische Minimum von 5 Stationen (⌈49/10⌉) ist aufgrund der Vorrangbeziehungen und Elementzeiten nicht erreichbar. Die gefundene Lösung mit 6 Stationen ist für diese Heuristik gut, muss aber nicht global optimal sein. Andere Heuristiken könnten möglicherweise 5 Stationen erreichen.

  1. Bandwirkungsgrad: \[U = \frac{\text{Summe Elementzeiten}}{\text{Anzahl Stationen} \times \text{Taktzeit}} = \frac{49}{6 \times 10} = \frac{49}{60} = 0,817 = 81,7\%\]

Aufgabe 3 - Leistungsanalyse eines Fließproduktionssystems

Eine Elektronikfertigung für Leiterplatten besteht aus 5 aufeinanderfolgenden Bearbeitungsstationen. Die erste Station erhält Werkstücke mit einer Rate von \(\lambda = 0,08\) Leiterplatten pro Minute. Alle Stationen haben eine mittlere Bearbeitungszeit von \(b = 11\) Minuten pro Leiterplatte. Die Bearbeitungszeiten sind exponentialverteilt, und zwischen den Stationen befinden sich unbeschränkte Puffer.

  1. Berechnen Sie für jede Station:
    • Die Bearbeitungsrate \(\mu\)
    • Die Auslastung \(\rho\)
    • Den mittleren Bestand \(L\)
    • Die mittlere Durchlaufzeit \(W\)
  2. Bestimmen Sie für das Gesamtsystem:
    • Die Produktionsrate
    • Den Gesamtbestand
    • Die Gesamtdurchlaufzeit
  3. Für Station 3: Mit welcher Wahrscheinlichkeit
    • Ist die Station leer?
    • Befinden sich genau 3 Leiterplatten an der Station?
    • Befinden sich 3 oder weniger Leiterplatten an der Station?
    • Befinden sich mehr als 10 Leiterplatten an der Station?

Lösung:

  1. Stationskenngrößen:

Für alle Stationen \(m = 1, ..., 5\):

  • Bearbeitungsrate: \(\mu_m = \frac{1}{b_m} = \frac{1}{11} = 0,091\) Leiterplatten/min
  • Ankunftsrate: \(\lambda_m = \min\{\lambda_{m-1}, \mu_{m-1}\} = 0,08\) (da \(0,08 < 0,091\) für alle Stationen)
  • Auslastung: \(\rho_m = \frac{\lambda_m}{\mu_m} = \frac{0,08}{0,091} = 0,88\)
  • Mittlerer Bestand: \(L_m = \frac{\rho_m}{1-\rho_m} = \frac{0,88}{0,12} = 7,33\) Leiterplatten
  • Mittlere Durchlaufzeit: \(W_m = \frac{L_m}{\lambda_m} = \frac{7,33}{0,08} = 91,67\) min
  1. Gesamtsystem:
  • Produktionsrate: \(X = \min\{\lambda, \mu_1, ..., \mu_5\} = 0,08\) Leiterplatten/min
  • Gesamtbestand: \(L = \sum_{m=1}^{5} L_m = 5 \times 7,33 = 36,67\) Leiterplatten
  • Gesamtdurchlaufzeit: \(W = \sum_{m=1}^{5} W_m = 5 \times 91,67 = 458,33\) min
  1. Wahrscheinlichkeiten für Station 3:

Mit \(\rho_3 = 0,88\) und \(P[N=n] = (1-\rho) \cdot \rho^n\):

  • Station leer: \(P[N=0] = 1 - 0,88 = 0,12\) (12%)
  • Genau 3 Leiterplatten: \(P[N=3] = 0,12 \cdot 0,88^3 = 0,12 \cdot 0,681 = 0,082\) (8,2%)
  • 3 oder weniger: \(P[N \leq 3] = 0,401\) (40,1%)
  • Mehr als 10: \(P[N > 10] = \rho^{11} = 0,88^{11} = 0,314\) (31,4%)

Aufgabe 4 - Starving und Blocking

Ein Produktionssystem besteht aus drei Stationen mit beschränkten Puffern:

[Lager] → Station 1 → [Puffer 1: 3 Plätze] → Station 2 → [Puffer 2: 2 Plätze] → Station 3 → [Fertigwarenlager]

Die Bearbeitungszeiten sind deterministisch: \(b_1 = 4\) min, \(b_2 = 5\) min, \(b_3 = 3\) min.

  1. Erklären Sie die Begriffe “Starving” und “Blocking” im Kontext dieses Systems.
  2. Identifizieren Sie mögliche Starving- und Blocking-Situationen in diesem System.
  3. Welche Station ist der Engpass? Wie wirkt sich das auf die anderen Stationen aus?
  4. Schlagen Sie zwei Maßnahmen zur Verbesserung der Systemleistung vor.

Lösung:

  1. Begriffserklärungen:

Starving (Aushungern): Eine Station kann nicht arbeiten, weil der vorgelagerte Puffer leer ist und kein zu bearbeitendes Werkstück verfügbar ist.

Blocking (Blockierung): Eine Station kann nicht arbeiten, obwohl sie ein Werkstück fertiggestellt hat, weil der nachgelagerte Puffer voll ist und das fertige Werkstück nicht weitergegeben werden kann.

  1. Mögliche Situationen:

Starving:

  • Station 2 hungert aus, wenn Puffer 1 leer ist und Station 1 noch arbeitet
  • Station 3 hungert aus, wenn Puffer 2 leer ist und Station 2 noch arbeitet

Blocking:

  • Station 1 wird blockiert, wenn Puffer 1 voll ist (3 Werkstücke) und Station 2 noch arbeitet
  • Station 2 wird blockiert, wenn Puffer 2 voll ist (2 Werkstücke) und Station 3 noch arbeitet
  1. Engpassanalyse:

Station 2 ist der Engpass mit der längsten Bearbeitungszeit (5 min).

Auswirkungen:

  • Station 1 (schneller als Station 2): Wird blockiert, da Puffer 1 sich füllt
  • Station 3 (schneller als Station 2): Hungert aus, da Station 2 nicht schnell genug liefert
  1. Verbesserungsmaßnahmen:

    • Parallelstation zu Station 2 hinzufügen
    • Prozessverbesserung bei Station 2 zur Reduzierung von \(b_2\)
    • Ziel: Engpass eliminieren und Systemleistung erhöhen