Newsvendor-Problem, (s,q)-Politik, (r,S)-Politik
Nehmen wir an, wir leiten eine kleine Brauerei.
Ganz anders sieht es bei unserem Standard-Pils aus.
Beides schauen wir uns nun genauer an.
Das “Zeitungsverkäufer-Problem” (Newsvendor Problem) ist der Klassiker für einmalige Bestandsentscheidungen. Der Name kommt von einem Zeitungsjungen, der morgens entscheiden muss, wie viele Zeitungen er kauft, ohne die genaue Nachfrage des Tages zu kennen. Abends sind die übrigen Zeitungen wertlos.
Dieses Prinzip gilt für viele Produkte:
Im Kern geht es immer um die Abwägung zweier Risiken:
Beispiel: Unser Festbier
Daraus berechnen wir die Kosten:
Wir suchen die optimale Bestellmenge, die den erwarteten Gewinn maximiert.
Die Logik:
\[ \text{Kritisches Verhältnis} = F(x_{opt}) = \frac{c_U}{c_O + c_U} \]
Für unser Festbier bedeutet das:
\[ \text{Kritisches Verhältnis} = \frac{5}{2 + 5} = \frac{5}{7} \approx 0.714 \]
Das bedeutet: Wir sollten so viele Flaschen brauen, dass die Wahrscheinlichkeit, die gesamte Nachfrage zu decken, bei ca. 71,4% liegt.
Jetzt, da wir das Ziel kennen (71,4% Servicegrad), müssen wir nur noch die passende Bestellmenge finden. Wie wir das tun, hängt von der Art der Nachfrageverteilung ab.
Stellen wir uns einen Food-Truck vor, der an einem einzigen Tag auf einem Festival ein spezielles, teures Gericht anbietet.
Die Erfahrung zeigt folgende Nachfrageverteilung:
Nachfrage (x) | P(x) | Kumulierte P(Y<=x) |
---|---|---|
10 Gerichte | 0.20 | 0.20 |
11 Gerichte | 0.25 | 0.45 |
12 Gerichte | 0.30 | 0.75 |
13 Gerichte | 0.15 | 0.90 |
14 Gerichte | 0.10 | 1.00 |
Regel:
Wir suchen die kleinste Bestellmenge x, für die die kumulierte Wahrscheinlichkeit \(F(x) = P(Y \le x)\) größer oder gleich dem kritischen Verhältnis ist.
Die optimale Bestellmenge ist 12 Gerichte. Obwohl die Wahrscheinlichkeit für 12 verkaufte Gerichte nur bei 30% liegt, ist das die beste Entscheidung, um den erwarteten Gewinn zu maximieren.
Zurück zu unserem Beispiel mit dem Festbier unserer Brauerei.
Hier nutzen wir die Formel:
\[ x_{opt} = \mu + z \cdot \sigma \]
Z-Werte für gängige Servicegrade (Kritisches Verhältnis)
\(\alpha\)-Servicegrad | z-Wert | Bedeutung |
---|---|---|
50% | 0.000 | Exakt der Erwartungswert (kein Puffer). |
55% | 0.126 | 0.126 Standardabweichungen als Puffer. |
60% | 0.253 | 0.253 Standardabweichungen als Puffer. |
65% | 0.385 | 0.385 Standardabweichungen als Puffer. |
70% | 0.524 | 0.524 Standardabweichungen als Puffer. |
75% | 0.674 | 0.674 Standardabweichungen als Puffer. |
80% | 0.842 | 0.842 Standardabweichungen als Puffer. |
85% | 1.036 | 1.036 Standardabweichungen als Puffer. |
90% | 1.282 | 1.282 Standardabweichungen als Puffer. |
95% | 1.645 | 1.645 Standardabweichungen als Puffer. |
99% | 2.326 | 2.326 Standardabweichungen als Puffer. |
Wir gehen wie folgt vor:
Wir sollten also 2170 Flaschen brauen, um unseren erwarteten Gewinn zu maximieren.
Für Produkte, die wir kontinuierlich führen, brauchen wir eine laufende Strategie. Hier ist die (s, q)-Politik, die wir bereits in der letzten Vorlesung kennengelernt haben, eine oft verwendete Strategie.
Zur Erinnerung:
Ein Problem dabei ist das “Unterschießen” des Bestellpunkts, der sogenannte Undershoot. Wenn wir den Bestand nur täglich prüfen, kann eine große Nachfrage den Bestand weit unter s
drücken, bevor wir überhaupt bestellen. Dieser Undershoot (\(U\)) ist eine zusätzliche Zufallsgröße, die wir berücksichtigen müssen.
Für eine normalverteilte Tagesnachfrage \(D \sim N(\mu_D, \sigma_D^2)\) können wir den Undershoot so abschätzen:
s
bestimmenDer Risikozeitraum ist die Wiederbeschaffungszeit \(L\). Die Nachfrage \(Y\), die unser Bestellpunkt abdecken muss, ist die Summe aus der Nachfrage während der WBZ (\(Y^{(L)}\)) und dem Undershoot (\(U\)).
Um den optimalen Bestellpunkt \(s_{opt}\) für einen angestrebten \(\beta\)-Servicegrad (Fill Rate) zu finden, nutzen wir wieder eine Formel, die auf der Einheiten-Verlustfunktion \(G_Z^{(1)}(v)\) basiert.
Zielbedingung: Finde den kleinsten Sicherheitsfaktor \(v\), für den gilt: \[ G_Z^{(1)}(v) \leq \frac{(1-\beta) \cdot q}{\sigma_Y} \] Der optimale Bestellpunkt ist dann: \(s_{opt} = \mu_Y + v_{opt} \cdot \sigma_Y\).
Den Wert für \(v_{opt}\) findet man, indem man den Zielwert für die Verlustfunktion in einer Tabelle nachschlägt oder einfach in einer Software berechnet.
Tabelle der Standard-Verlustfunktion \(G_Z^{(1)}(v)\)
v | \(G_Z^{(1)}(v)\) | v | \(G_Z^{(1)}(v)\) |
---|---|---|---|
0.0 | 0.399 | 1.1 | 0.069 |
0.1 | 0.359 | 1.2 | 0.056 |
0.2 | 0.323 | 1.25 | 0.051 |
0.3 | 0.291 | 1.3 | 0.046 |
0.4 | 0.262 | 1.4 | 0.038 |
0.5 | 0.235 | 1.5 | 0.031 |
0.6 | 0.211 | 1.6 | 0.026 |
0.7 | 0.189 | 1.7 | 0.021 |
0.8 | 0.169 | 1.8 | 0.017 |
0.9 | 0.148 | 1.9 | 0.014 |
1.0 | 0.083 | 2.0 | 0.011 |
Beispiel:
v
, sodass \(G_Z^{(1)}(v) \le 0.523\). Dies geschieht durch Nachschlagen in einer Tabelle der Standard-Verlustfunktion oder mittels Software.Nicht für jedes Produkt lohnt sich eine ständige Überwachung. Für Joghurt im Supermarkt ist es effizienter, nur einmal pro Woche (periodisch) nachzusehen und aufzufüllen. Hierfür eignet sich die (r, S)-Politik.
Hier müssen wir umdenken: Der Risikozeitraum ist jetzt \(r+L\)! Warum? Eine Bestellung, die wir heute aufgeben, muss die Nachfrage so lange decken, bis die nächste Lieferung eintrifft. Die nächste Bestellung lösen wir erst in \(r\) Tagen aus, und diese braucht dann nochmal \(L\) Tage, um anzukommen.
S
bestimmenAuch hier können wir das optimale Bestellniveau \(S_{opt}\) für einen Ziel-\(\beta\)-Servicegrad bestimmen. Die Logik ist sehr ähnlich zur (s,q)-Politik, aber die Formel für die Zielbedingung ist leicht anders, da die erwartete Fehlmenge ins Verhältnis zur erwarteten Nachfrage im Bestellintervall (\(r \cdot \mu_d\)) gesetzt wird.
Zielbedingung (vereinfacht):1 Finde den kleinsten Sicherheitsfaktor \(v\), für den gilt: \[ G_Z^{(1)}(v) \leq \frac{(1-\beta) \cdot r \cdot \mu_d}{\sigma_{r+L}} \] Das optimale Bestellniveau ist dann: \(S_{opt} = \mu_{r+L} + v_{opt} \cdot \sigma_{r+L}\).
Beispiel: Ein Supermarkt verkauft Frischmilch.
v
-Wert, für den \(G_Z^{(1)}(v) \leq 0.05\) ist. Aus der Tabelle finden wir, dass \(G_Z^{(1)}(1.3) \approx 0.046\) der erste Wert ist, der die Bedingung erfüllt. Also \(v_{opt} \approx 1.3\).Vorlesung 05: Bestandspolitiken | Tobias Vlćek | Home